Über Blätter können Saxophonisten reden wie Angler über Köder und Rollen oder Modelleisenbahner über Lokomotiven und Streckenverläufe. Doch was macht ein gutes Blatt eigentlich aus?
Es ist zunächst selbstverständlich der Schnitt, an dem ein Hersteller, ob klein oder groß, oft jahrelang arbeitet, um schließlich seine ganz persönliche Vorstellung vom perfekten Blatt verwirklicht zu sehen. Die muss allerdings auch zur Vorstellung anderer Saxophonisten passen, damit das Produkt auch kommerziell erfolgreich sein kann und so erklärt sich auch die gefühlte halbe Ewigkeit, die Produzenten wie Vandoren oder D’Addario brauchen, um schließlich mit einem neuen Schnitt zu reüssieren. Und der wird nicht immer gut angenommen – es gibt auch einige Flops in der langen Geschichte der Blattentwicklung, die hier jedoch nicht genannt werden sollen.
Jede Zeit hat ihren eigenen Sound und den versuchen Hersteller natürlich so gut wie möglich in ihren jeweiligen Produkten abzubilden. Es gibt bei allem Bemühen jedoch eine große Unbekannte – das Material. Arundo Donax, das von uns ganz schnöde Rohrblatt genannte Rohmaterial, verhält sich nämlich keinesfalls so regelmäßig, wie es sich der Hersteller wünscht. Vielmehr: Es wächst und gedeiht je nach Klima, Lage, Wasserzufuhr und Jahrgang total unterschiedlich. Genau wie Wein, der auch an jeder Ecke irgendwie anders schmeckt. Pascal Brancher machte mit einem Freund vor ein paar Jahren das Experiment, seine Blätter mit dem Rohmaterial des Freundes zu fertigen, das im Osten von Südfrankreich wächst, während dieser das von Brancher aus der Var-Region verwendete. Beide erkannten ihre eigenen Blätter kaum wieder! Plantagenholz unterscheidet sich von wild gewachsenem und hier spielt wiederum die Frage eine Rolle, ob der Produzent reichlich Dünger verwendet hat oder nicht. Die Wachstumsgeschwindigkeit definiert wesentlich die Qualität des Holzes, hinzu kommt die sensible Frage, wie die Holzstangen vor der Verarbeitung gelagert werden. Das Holz sollte Zeit haben, sich zu beruhigen und vor allem vollkommen trocken zu werden.
Somit ist es für Hersteller mit deutlich größerer Produktionsmenge umso schwieriger, eine gleichmäßige Holzqualität zu gewährleisten, schließlich handelt es sich trotz hunderttausender Holzbläser Weltweit immer noch um ein Nischenprodukt. Allein mit dem Dienstantritt von Bill Clinton begannen seinerzeit 20.000 Amerikaner von heute auf morgen mit dem Saxophonspielen, um ihrem Präsidenten nachzueifern – die hierzu erforderlichen Blätter muss man erst mal liefern können! So erklärt sich die häufig ungleichmäßige Qualität innerhalb einer Box: Die verpackten Blätter stammen von verschiedenen Stangen, die wiederum unterschiedliche Qualität haben, also klingen 10 Blätter mit dem auf den tausendstel Millimeter exakt gleichen Schnitt eben doch alle verschieden. Gute Materialqualität ist tatsächlich die allerwichtigste Voraussetzung für ein gutes Blatt.
Sind Kunststoffblätter mit ihrer ausgesprochen gleichmäßigen Materialqualität eine perfekte Alternative? Ich habe (wie meinen Testberichten zu entnehmen ist) schon einige sehr interessante Kunststoffblätter gespielt, aber noch keines gefunden, das mich klanglich wirklich restlos überzeugen kann. Und das finde ich als hoffnungsloser Romantiker eigentlich auch ganz gut so. Also bleibt nur, Augen und Ohren offen zu halten und bei Gelegenheit mal einem echten Virtuosen unter den Blattbearbeitern auf die Finger zu schauen: Stefan Weilmünster ist für Vandoren im Rahmen von Workshops unterwegs und kennt einige sehr nützliche Tricks, wie man miesen Blättern auf die Sprünge helfen kann!