AP3 & SP3 – Die dritte Generation?

In die früher eher langweilige Branche der klassischen Saxophonmundstücke kommt immer mehr Bewegung. Mit der Optimum-Serie brachte Vandoren seinerzeit einen starken Konkurrenten für Selmer auf den Markt (siehe meine Testreihe C*V5Optimum – der Klassik–Code), was wiederum mit dem Selmer Concept gekontert wurde. Dieses wird im Gegensatz zu den Vorgängern nur mit einer einzigen Bahnöffnung angeboten, doch dieses „Friss oder stirb“-Angebot mit seinem offeneren Spielgefühl konnte wiederum viele professionelle Spieler überzeugen, was auch die neugierige Basis zum Systemwechsel motivierte. Nun war also Vandoren wieder am Zug, und siehe da: Mit der Profile-Serie, derzeit das AP3 und sein kleiner Bruder SP3, hat man in der Rue Lepic ein Mundstück entwickelt, das alles mitbringt, um wieder die Führung in diesem wichtigen Segment zu übernehmen.

Zunächst sei die Frage gestattet, worin der Grund für solche Neuentwicklungen zu suchen ist. Eigentlich verbindet man mit dem klassischen Genre ja einen konservativen Geist, zumindest mit Blick auf die Tonbildung. Doch bei genauer Betrachtung wird schnell klar, dass sich insbesondere beim Saxophon viel getan hat: Neue Spieltechniken wie Slapzunge oder gar das Beatboxing auf dem Saxophon, erfunden von Derek Brown, aber auch höhere Ansprüche der Komponisten bezüglich High Notes und Dynamik machen die neuen Mundstücke reizvoll und manchmal sogar notwendig. Wenn von Komponisten die Grenzen der Dynamik neu ausgelotet werden, kann das Material nicht zurückstehen. Die Anforderung, ultraleise und wahnwitzig laute Passagen mit einem einzigen Mundstück und Blatt umzusetzen, bleibt eine echte Herausforderung – wer Material liefern kann, das diesen Prozess spürbar erleichtert, hat schnell die Nase vorn.

Innenansicht des SP3

Hier liegt sicherlich einer der Gründe, weshalb das Selmer Concept so erfolgreich ist und die Tatsache, dass Vandoren nun ein ganz ähnliches Design gewählt hat und die Profile-Serie ebenfalls nur mit einer Bahnöffnung anbietet, bestätigt das. Allerdings nur äußerlich. Die inneren Qualitäten der Serie sind andere. Bereits der erste Ton vermittelt bezüglich der Zentrierung des Tons ein völlig neues Gefühl von Sicherheit. Die Luft wird beinahe wie auf Schienen geführt, die Kontrolle ist maximal und das in allen Dynamikstufen. Der entstehende Ton – getestet wurde mit Vandoren V21 Stärke 3 auf Selmer SA80II – ist absolut dicht, kompakt, trägt ungemein weit und ist enorm differenziert. Im Vergleich erscheint das AL3 etwas opulenter und breiter, aber eben auch weniger differenziert, während das Selmer Concept dagegen beinahe schon grob klingt. Vandoren spricht bei der Profile-Serie von „hervorragender Klangästhetik durch ein neues Design der Bahn in der dritten Generation“. Wir sind uns einig, dass das Texten zu solchen Neuentwicklungen keine dankbare Aufgabe ist, aber tatsächlich spielt sich dieses Mundstück völlig anders und gleichsam vertraut. Die Ansprache ist unglaublich direkt, im Pianissimo ist so gut wie kein Rauschen mehr hörbar und wenn es um Lautstärke geht, so ist man mit AP und SP ebenfalls ganz weit vorn.

Der mittenreiche Klang geht allerdings ein wenig auf Kosten der Brillanz in den Höhen, was wiederum eine Frage der persönlichen Klangvorstellung ist. Hier könnte man mit anderen Blättern arbeiten, doch generell ist der Klang keinesfalls dumpf, sondern eher absolut linear. Das Sopranmundstück fällt klanglich etwas heller aus, bleibt aber ebenfalls in diesem linearen Korridor. Im Altissimo-Register sind beide Mundstücke das, was man eine Waffe nennt: Wer sich hier sicher fühlt, bekommt mit der Profile-Serie ein unglaublich gutes Werkzeug. Das gilt auch für Multiphonics, die selbst bei schwierigen Klängen deutlich besser „anspringen“ als bei AL3 und Selmer Concept. Für mich ist das Vandoren Profile also eine der interessantesten Neuentwicklungen der letzten Jahre und mein zukünftiges Standard-Mundstück bei Vierfarben Saxophon. Ich bin gespannt, ob und wenn ja wann die Ergänzung in die tiefe Lage erscheinen wird – Tenor- und Baritonsaxophon hätten ein solches Mundstück ebenfalls verdient!

Die Sache hat einen Haken …

… und hoffentlich einen Guten. Natürlich kann man auch komplett ohne den Daumenhaken am Saxophon auskommen, denn eigentlich soll der rechte Daumen ja nur die richtige Position finden und höchstens ganz leicht das Instrument nach vorn drücken. Das geht sogar ganz ohne nur mittels einer aufgebrachten Korkschicht oder ähnlichem, was Harald Dallhammer vor ein paar Jahren schon mal auf der Frankfurter Musikmesse demonstriert hat. Allerdings bietet der Haken schnelle Orientierung und ist zudem hilfreich, wenn es an das Thema Bühnenshow oder schon kleinere Bewegungen geht. Hier rutscht man dann doch schnell von der Korkfläche ab und ein Haken macht somit Sinn. „Die Sache hat einen Haken …“ weiterlesen

Ein paar Worte zu Blättern aus Holz

Über Blätter können Saxophonisten reden wie Angler über Köder und Rollen oder Modelleisenbahner über Lokomotiven und Streckenverläufe. Doch was macht ein gutes Blatt eigentlich aus?

Es ist zunächst selbstverständlich der Schnitt, an dem ein Hersteller, ob klein oder groß, oft jahrelang arbeitet, um schließlich seine ganz persönliche Vorstellung vom perfekten Blatt verwirklicht zu sehen. Die muss allerdings auch zur Vorstellung anderer Saxophonisten passen, damit das Produkt auch kommerziell erfolgreich sein kann und so erklärt sich auch die gefühlte halbe Ewigkeit, die Produzenten wie Vandoren oder D’Addario brauchen, um schließlich mit einem neuen Schnitt zu reüssieren. Und der wird nicht immer gut angenommen – es gibt auch einige Flops in der langen Geschichte der Blattentwicklung, die hier jedoch nicht genannt werden sollen.

Jede Zeit hat ihren eigenen Sound und den versuchen Hersteller natürlich so gut wie möglich in ihren jeweiligen Produkten abzubilden. Es gibt bei allem Bemühen jedoch eine große Unbekannte – das Material. Arundo Donax, das von uns ganz schnöde Rohrblatt genannte Rohmaterial, verhält sich nämlich keinesfalls so regelmäßig, wie es sich der Hersteller wünscht. Vielmehr: Es wächst und gedeiht je nach Klima, Lage, Wasserzufuhr und Jahrgang total unterschiedlich. Genau wie Wein, der auch an jeder Ecke irgendwie anders schmeckt. Pascal Brancher machte mit einem Freund vor ein paar Jahren das Experiment, seine Blätter mit dem Rohmaterial des Freundes zu fertigen, das im Osten von Südfrankreich wächst, während dieser das von Brancher aus der Var-Region verwendete. Beide erkannten ihre eigenen Blätter kaum wieder! Plantagenholz unterscheidet sich von wild gewachsenem und hier spielt wiederum die Frage eine Rolle, ob der Produzent reichlich Dünger verwendet hat oder nicht. Die Wachstumsgeschwindigkeit definiert wesentlich die Qualität des Holzes, hinzu kommt die sensible Frage, wie die Holzstangen vor der Verarbeitung gelagert werden. Das Holz sollte Zeit haben, sich zu beruhigen und vor allem vollkommen trocken zu werden.

Somit ist es für Hersteller mit deutlich größerer Produktionsmenge umso schwieriger, eine gleichmäßige Holzqualität zu gewährleisten, schließlich handelt es sich trotz hunderttausender Holzbläser Weltweit immer noch um ein Nischenprodukt. Allein mit dem Dienstantritt von Bill Clinton begannen seinerzeit 20.000 Amerikaner von heute auf morgen mit dem Saxophonspielen, um ihrem Präsidenten nachzueifern – die hierzu erforderlichen Blätter muss man erst mal liefern können! So erklärt sich die häufig ungleichmäßige Qualität innerhalb einer Box: Die verpackten Blätter stammen von verschiedenen Stangen, die wiederum unterschiedliche Qualität haben, also klingen 10 Blätter mit dem auf den tausendstel Millimeter exakt gleichen Schnitt eben doch alle verschieden. Gute Materialqualität ist tatsächlich die allerwichtigste Voraussetzung für ein gutes Blatt.

Sind Kunststoffblätter mit ihrer ausgesprochen gleichmäßigen Materialqualität eine perfekte Alternative? Ich habe (wie meinen Testberichten zu entnehmen ist) schon einige sehr interessante Kunststoffblätter gespielt, aber noch keines gefunden, das mich klanglich wirklich restlos überzeugen kann. Und das finde ich als hoffnungsloser Romantiker eigentlich auch ganz gut so. Also bleibt nur, Augen und Ohren offen zu halten und bei Gelegenheit mal einem echten Virtuosen unter den Blattbearbeitern auf die Finger zu schauen: Stefan Weilmünster ist für Vandoren im Rahmen von Workshops unterwegs und kennt einige sehr nützliche Tricks, wie man miesen Blättern auf die Sprünge helfen kann!

C*V5 Optimum – der Klassik-Code!

Über Mundstücke für Jazz-, Funk- und Rock-Saxophonisten wurden nicht nur unzählige Seiten geschrieben, es gibt auch immer mehr Auswahl, seitdem sich auch kleine Firmen – meist ehemalige Musiker, die sich zunächst dem Hobby der Herstellung von Mundstücken widmen, um schließlich zu professionellen Herstellern zu werden – am Markt behaupten können. Unter Saxophonisten sind deren neuste Produkte beliebtes Gesprächsthema, die Foren sind voller Fragen zu Ansprache, Sound und Intonation der neusten Objekte der Begierde, die natürlich ihren Preis haben.

Unter klassischen Saxophonisten herrschte jedoch lange Zeit Stille. Wo ein Jazzmusiker beinahe jährlich zu neuem Material greift (ich kenne bekannte Saxophonisten mit über 250 Mundstücken in der Schublade), vertraut ein klassischer Saxophonist meist über Jahrzehnte dem Mundstück, auf dem er gelernt hat. So stiftet der Lehrer beziehungsweise Professor ein ausgesprochen nachhaltiges Markenbewusstsein, denn es geht hier ja beileibe nicht nur um einen individuellen Sound. Im Gegenteil: Es geht darum, das Klangideal eines klassischen Tons zu treffen und gleichzeitig sämtliche Grenzbereiche des Musizierens zu ermöglichen. Hier müssen Jazzmusiker jetzt stark sein, aber es ist nun mal eine Tatsache, dass sich insbesondere Saxophonisten, die zeitgenössische Musik aufführen wollen, jeden Tag aufs Neue mit den aberwitzigsten Einfällen und Herausforderungen der Komponisten herumschlagen müssen. Zirkularatmung und Slapzunge sind heute obligat und von beidem haben die meisten Jazzmusiker keine oder nur wenig Ahnung – dafür haben sie definitiv andere Qualitäten, denn das Improvisieren liegt dem Klassiker bekanntermaßen weniger.

Die Mundstück-Blatt-Kombination muss in der Klassik eine Dynamik vom vierfachen Piano bis zu einer Lautstärke ermöglichen, die den Solisten selbst über ein kraftvoll agierendes 100 Personen-Orchester inklusive Schlagwerk hebt. Ein hoher Anspruch, den zwei Hersteller konsequent bedienen: Vandoren und Selmer. Je nachdem, in welcher „Schule“, konkret: Auf welcher Hochschule bei welchem Professor man lernt, wird man den einen oder den anderen Hersteller spielen müssen, weil Professoren in dieser Hinsicht nun mal kaum Widerworte dulden. Ebenso konservativ verhielt es sich bisher mit der Blattauswahl. Vandoren „blau“, also die Blätter aus der bereits zum Kult gewordenen blauen Packung, waren und sind auch heute noch für viele das Maß aller klassischen Dinge. Selmer schließt unterdessen wieder an seine Tradition der Blattherstellung an, konnte hier aber nie über den Status eines Nischenproduzenten hinausgelangen, Brancher kennt kaum jemand und die recht grobschlächtigen Blätter der Marke Glotin gibt es überhaupt nicht mehr, falls Sie, lieber Leser, das überhaupt je kannten.

So spielen also beispielsweise Saxophonisten aus der Londeix-Schule eher Selmer, während etwa Delangle-Schüler lieber zu Vandoren greifen. Doch auf einmal bewegte sich etwas in der klassischen Ecke. Zunächst brachte Selmer neben dem altbekannten S80 das S90 heraus, das klanglich etwas heller ausfiel. Bei Vandoren war die V5-Serie eine Zeit lang Standard, doch es brauchte ein Mundstück, das Selmer-Spieler zum Wechsel verführen konnte. So entstand die Optimum-Serie – absolut keine Kopie, sondern ein völlig eigenes Konzept, das aber auf jene Saxophonisten zielte, die sich das Volumen von Vandoren in Verbindung mit der Feinheit eines Selmer S80 wünschten. Die bauten unterdessen ein Mundstück namens Concept mit runder Kammer anstelle der eckigen des Selmer S80, um sich klanglich in die andere Richtung zu bewegen. Weshalb dieser Aktivismus im traditionell eher behutsam bis behäbig agierenden Frankreich? Ganz einfach: Eine neue Generation von Solisten begann, die Klangvorstellung eines klassischen Saxophonisten nicht etwa generell zu hinterfragen, sondern vielmehr behutsam zu manipulieren.

Hilfreich war hier besonders Claude Delangle, der eines Tages sogar mit einem Vandoren-Jazzmundstück „erwischt“ worden sein soll – er klang damit so großartig wie immer, was natürlich für Impulse seitens der Schülerschaft sorgte. Moderne Komponisten wollen heute nicht mehr nur den bekannten schmelzenden Klang, sondern auch agressive, perkussive, ja knallharte Sounds, die mit herkömmlichen Mundstücken natürlich durchaus zu realisieren sind – aber mit angepasstem Material natürlich deutlich einfacher. Das brachte die Firma Vandoren dazu, nach Jahrzehnten an einem neuen Klassik-Blatt zu arbeiten. Zunächst kamen die V12-Blätter auf den Markt, doch hier hielt sich die Begeisterung der Musiker noch in Grenzen. Das vor kurzem veröffentlichte V21 hingegen schlägt derzeit ein wie eine Bombe und dürfte viele Saxophonisten dazu bringen, sich weg von den traditionellen und hin zu den neuen Blättern zu bewegen, denn diese sind deutlich flexibler, wenn es darum geht, seinen Klang an unterschiedliche Begebenheiten anzupassen.

So entstand allmählich etwas, was für den klassischen Saxophonisten eigentlich völlig neu ist: Auswahl. Für mich ein guter Grund, mich mal für längere Zeit den aus meiner persönlichen Sicht drei wichtigsten Mundstückserien beziehungsweise Konzepten zuzuwenden und diese einem Langzeittest zu unterziehen: Selmer S80, Vandoren V5-Serie und Vandoren Optimum-Serie. Wobei eines klar ist: Es ging und geht hierbei nicht um Gewinner oder Verlierer, sondern um Unterschiede und am Ende natürlich auch um Entscheidungen für die eigene Spielpraxis. Wer mich kennt, der weiß, dass es mir bei einem solchen Test nicht um technische Fragen geht: Exakte Bahnlänge, penible Vermessung der Kammer und ähnliche Dinge überlasse ich gern anderen, die sich an solchen Zahlen erfreuen, um vielleicht kurze Zeit später mal selbst ein Mundstück zu entwerfen. Mir geht es ganz praktisch um Fragen der Ansprache, des Grundklangs, der dynamischen Bandbreite und natürlich der Intonation.

Das Mundstück hat großen Einfluss auf die Intonation eines Saxophons, und da Selmer nun mal nach wie vor DAS Saxophon für klassische Saxophonisten ist, spielt das eine umso größere Rolle, denn den wirklich einzigartigen Sound eines Selmer-Saxophons erkauft man mit der generell eher schlechten Intonation des Instruments. Deshalb greifen insbesondere Amerikaner und Asiaten gern mal zu Yamaha, was mich aber klanglich nicht überzeugen kann – und ein guter Klang ist definitiv das Wichtigste. Genau so gehe ich auch an das Testen von Mundstücken heran: Der Grundklang ist entscheidend, aber selbstverständlich muss man sich zunächst an das neue Material gewöhnen. Hier macht es einem das Selmer S80 C* (die schon legendäre Bahnöffnung) leicht. Nicht umsonst wirbt Selmer damit, dass dieses Mundstück besonders geeignet für Einsteiger ist, denn es geht völlig unkompliziert los: Tolle Ansprache, guter Grundklang, der auf präsenten, samtigen Mitten und einem präsenten Obertonspektrum aufbaut sowie eine klangliche Flexibilität, die es zumindest dem Anfänger problemlos ermöglicht, sogar mal jazzy loszulegen. Nach geraumer Zeit ändert sich bei diesem Thema jedoch meist die Tonvorstellung des Spielers und das S80 C* landet in der Schublade. Schade, denn für Klassik ist das Mundstück nun eigentlich erst richtig interessant.

Es ist diese Flexibilität, die das S80 C* zu einem Verkaufsschlager gemacht hat. Will man den Grundklang beschreiben, so fällt tatsächlich das bereits zitierte Attribut Samtig in Verbindung mit Brillanz – Kraft allerdings weniger. Auf der anderen Seite der Messlatte liegt die V5-Serie von Vandoren. Als ich erstmals mit dem ausgezeichneten Saxophonisten Normand Deschenes – seinerzeit Dozent an der Hochschule Würzburg – im Quartett spielte, reichte er mir nach ein paar Minuten sein A35, die weiteste Bahnöffnung, die bei dieser Serie gerade noch die Voraussetzungen für klassische Musik erfüllt. Das war für mich Offenbarung und Herausforderung zugleich. Zunächst sind Mundstücke von Vandoren im Gegensatz zu Selmer nämlich keinesfalls unkompliziert und leicht zu verwenden. Diese Teile wollen eingespielt werden. Ihr eher massiger Aufbau mit größerem Umfang ergibt eine größere Menge an Kautschuk, die in Schwingung versetzt sein will und auch der Aufbau der Kammer erfordert Vertrautheit. In den ersten Stunden ist ein Mundstück der V5-Serie insbesondere bei Tenor und Bariton eher spröde und neigt sogar zum Kieksen. Doch nach spätestens einer Woche ändert sich das Bild vollkommen: Der Ton wird klar und sauber, die Ansprache absolut direkt und das Klangbild hell, kraftvoll, knackig und dennoch warm. Mit diesen Mundstücken kann man ein Orchester in Schach halten – für die ganz feinen Sachen, also ultraleise Passagen oder einen Ton, der förmlich zwischen den Instrumenten zu schweben scheint, wurden diese Mundstücke aber nicht unbedingt gebaut.

Das ist wohl auch der Firma Vandoren aufgefallen, und so machte man sich an die Entwicklung der Optimum-Serie, um hier verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Perfide: Die ausgezeichnete Blattschraube verführte schnell die Selmer-Spieler, es auch mal mit dem zugehörigen Mundstück zu probieren. Das wirkt im Vergleich zur V5-Serie eher gnubbelig, hat aber ebenfalls eine dickere Wandung und somit mehr Masse als ein Selmer-Mundstück. Was wiederum das Einspielen notwendig macht. Mein erster Kontakt mit diesen Mundstücken war eher distanziert. Man kann mit ihnen bereits von Anfang an beinahe wahnwitzig leise spielen, aber dennoch nicht ganz rauschfrei und vor allem nicht mit jenem 3D-Sound, der dem Selmer S80 C* zu eigen ist. Der Klang breitet sich beim Optimum anfangs nicht aus, sondern scheint topfig aus der Mitte zu klingen. Doch nach ein paar Tagen geschieht dann das Wunder: Der Sound wird immer fetter, runder und entfaltet eine einzigartige Textur. Ich weiß, das gehört in die Welt der Haptik, passt hier aber irgendwie gut, weil diese Weichheit im Bereich der unteren Mitten definitiv an ein Samtkissen erinnert. Großer Körper und gleichsam die Option, mit der entsprechenden Dosis an Kraft den Sound ins Agressive kippen zu lassen – das war genau mein Ding!

In Sachen Intonation liegt die Optimum-Serie vorn, denn hier macht sich die Flexibilität eines S80 negativ bemerkbar: Während man zwar diverse Optionen beim Ansatz hat, dafür aber gern beim E’’ deutlich übers Ziel hinausschießt, gibt das Optimum AL3 (die von mir bevorzugte Bahnöffnung) dem Saxophonisten ein Gefühl des „Einrastens“. Andere beschreiben das, als würde man auf einer Schiene fahren, die auf jeden Fall ans Ziel führt. Die V5-Serie bewegt sich hier irgendwo zwischen beiden: In der dritten Lage ist man schnell zu hoch, dafür bleibt die Basis solide. Bei den tiefen Tönen hat das S80 wieder etwas die Nase vorn: Verlangt ein Dirigent die Ahnung eines tiefen H und kein Dezibelchen mehr, so kann man das mit einem C* und einem nicht zu dicken Blatt realisieren, während das AL3 gern mit dem Saxophonisten durchgeht und vor allem klanglich eine Präsenz hat, die ultraleises Spiel zu einer echten Challenge macht. Wobei das Problem nicht technischer, sondern rein ästhetischer Natur ist: Das Pferd will rennen! Das A35 muss ab zweifachem Piano eher passen, während das A27 hier durchaus punkten kann, aber dennoch deutlich hinter dem AL3 zurückbleibt.

Bei den sogenannten „neuen Spieltechniken“ ergeben sich zumindest bei den Mehrklängen Unterschiede. Für Multiphonics ist das AL3 eine absolute Allzweckwaffe und liefert auch die exotischsten Kombinationen nach Daniel Kientzy, während das S80 gern mal den ein- oder anderen Klang zwar nicht verweigert, aber doch etwas erschwert und das A35 insbesondere bei den sensiblen Sounds die Flügel streckt. Bei anderen Techniken wie etwa der Zirkularatmung ist das S80 im Vorteil, weil die Ansprache derart direkt ist, dass man hier etwas Kraft sparen kann. Der höhere Anblaswiderstand der Optimum-Serie hat einige Vorteile, kostet hier aber etwas mehr Energie. Beim harten Staccato das gleiche Bild, weil die Mundstückspitze beim S80 sehr flach gestaltet ist. Verblüffend: Hier fällt es schwer, dem AL3 echte Härte abzugewinnen – es ist beinahe schon zu weich im Klang. Aber nur beinahe, denn das kann man üben und nach ein paar Stunden „Revolution“ von Marc Mellits ist auch dieses „Problemchen“ Geschichte.

So hat man nun also auch als klassischer Saxophonist die sogenannte Qual der Wahl, doch insbesondere bei den Außenstimmen Sopran und Bariton haben sich für mich das Optimum SL3 beziehungsweise BL3 als alternativlos herausgestellt. Hier geht es nämlich nicht immer um die solistischen, sondern auch um integrative Fähigkeiten – der akustische Rahmen eines Saxophonquartetts muss nicht nur klanglich, sondern auch intonatorisch absolut stimmen und das gelingt mir mit diesen Mundstücken wirklich hervorragend. Außerdem ist der volle, runde und nie flache Klang auch in den solistischen Passagen ein Geschenk, da einfach wunderschön. Dennoch gilt bei allen drei Konzepten: Tolles Material, von dem man im Grunde immer ein Mundstück für den passenden Anlass in der Hinterhand behalten sollte. Die Verarbeitung ist über jeden Zweifel erhaben und wer jetzt auf die Idee kommt, dass mehrere Mundstücke Luxus sind, der sei an den Anfang dieses langen Artikels verwiesen: Für ein total duftes, wahnsinnig individuelles, mit zarten Lippen aus dem Kautschukblock herausgelutschtes Jazzmundstück bekommt man bis zu vier (!) Klassik-Mundstücke. Eine Anschaffung, die sich lohnt. Für mich fällt die Entscheidung eindeutig zugunsten der Optimum-Serie aus, die nun die Pole in meinem Saxophonkoffer eingenommen hat.

Anhang: Getestet wurden natürlich nicht nur S80 C*, sondern auch andere Bahnöffnungen bis zu E, bei der V5-Serie die Öffnungen 27 und 35 und bei der Optimum-Serie die Öffnungen 3 und 4, letztere war mir immer etwas zu offen und zu hart im Klang. Die Blätter der Wahl waren Vandoren „blau“, Vandoren V21 bei Alt und Tenor, Brancher Opera sowie Hemke und D’Addario Select Jazz. Ja, das darf man auch bei der Klassik – das Ergebnis rechtfertigt hier IMMER die Mittel. Blattschrauben waren Vandoren Optimum und Brancher Metall, die qualitativ kaum einen Unterschied ergeben – beide sind wohl das Beste, was man derzeit als Ligatur auf sein Mundstück schrauben kann.

Lefreque Sound Bridge

Ist das Voodoo oder funktioniert das tatsächlich? Zwei übereinander gelegte Metallplättchen, befestigt mit einer Art Haargummi zwischen Mundstück und Bogen, sollen a) den Obertonreichtum fördern, b) die Intonation verbessern, c) die Ansprache verbessern, d) die Tonprojektion positiv beeinflussen, e) das Legato bei Blechbläsern verbessern und f) die dynamische Bandbreite erhöhen. Fehlen eigentlich nur noch g) für ewige Gesundheit sorgen und h) das Bankkonto automatisch füllen.

Was haben sich die beiden Holländer, die dieses Produkt erfunden haben, dabei gedacht? Es geht – wie die technische Bezeichnung Sound Bridge schon andeutet – um die Übertragung von Schwingungen/Frequenzen, die aufgrund der Beschaffenheit von Blasinstrumenten ohne die Lefreque-Frequenzbrücke auf der Strecke bleiben würden. Infrage kommen hier sämtliche Steck- oder Lötverbindungen, an denen der natürliche Schwingungsfluss gehemmt wird. Ist das wirklich so? Können zwei kleine löffelförmige Metallplättchen da eine spürbare Verbesserung bewirken? Und Lefreque treibt es ja noch viel weiter, behauptet etwa, dass die verschiedenen angebotenen Materialien von Messing bis zu massiv Gold auch einen völlig unterschiedlichen Klang ergeben und sich die oben geschilderten Verbesserungen von Spieler zu Spieler komplett voneinander unterscheiden.

Ihr seht, in diesen Test bin ich mit größter Skepsis gegangen, doch ich halte mich nicht mit technischen Details wie Schwingungsanalysen oder ähnlichem auf – ich probiere einfach aus, das Lefreque an meinem eigenen Klang verändert. Hierfür hat mich der Vertriebschef Deutschland, Thomas Voigt, persönlich besucht. Mit feinem Lächeln schnallt er mir das günstigste Paar zwischen Mundstück (Vandoren AL3) und Bogen (Selmer SA80II). Dabei wird das Plättchen mit den feinen Höckern auf der Unterseite bündig über das vollkommen Glatte gelegt, das dann als Doppeldecker mit dem Gummi zwischen Mundstück und Bogen fixiert wird, so dass beide Enden des glatten Plättchens direkt aufliegen (siehe Bild).

Und es verändert sich etwas. Und wie. Zunächst der Sound: Hat man vorher das räumliche Gefühl, der Klang dringe vorn aus dem Instrument, so ist man nun schlagartig von ihm umgeben. Dann die Ansprache: C#1, im Pianissimo nicht gerade leicht zu spielen, spricht auf einmal tadellos an. Die Intonation: E2 ist längst nicht mehr so hoch, die dritte Lage spricht besser an und die High Notes … Mit einem lauten „S******, das ist doch nicht wahr“ drehe ich mich zum süffisant grinsenden Thomas Voigt um, der schon mit dem nächsten Paar Plättchen bereitsteht.

Dann spiele ich mich über 90 Minuten durch das ungemein vielfältige Sammelsurium an Plättchen – von Brass (Messing) über Red Brass, massiv Silber bis massiv Gold, alles wiederum in „nackt“, versilbert, rosé vergoldet oder gelb vergoldet und schließlich auch noch in unterschiedlichen Längen, wobei die tatsächlich nur den verschiedenen Anwendungsgebieten geschuldet sind – klanglich ist die Länge des Plättchens nicht von großer Bedeutung. Das Material dafür allerdings umso mehr. Mit jedem Wechsel ändert sich das Klangspektrum und der Punkt „den Obertonreichtum fördern“ tritt immer mehr zutage. Immer wieder spiele ich zwischendrin ohne Lefreque und bereue es bereits, denn die Dinger sind wirklich suchterzeugend. Schließlich liebäugele ich mit massiv Gold 14 Karat, doch da auch ich bezahlen werde wie jeder andere Kunde auch, bin ich schließlich froh, dass ich mit massiv Silber gelb vergoldet nach meiner Vorstellung am besten klinge. Schließlich berechnet sich der Preis für die 14 Karat-Variante am aktuellen Goldpreis …

Los geht’s allerdings schon bei rund 50 € für die Basisvariante und man sollte generell so viele besitzen, wie man Saxophone während eines Auftritts auf der Bühne hat. Weshalb? Die Installation wie auch der Wechsel sind vor allem am Anfang eine echte Fuddelei, zwischen den Songs bleibt nicht genug Zeit, die Plättchen zu wechseln – und ohne will ich jetzt nicht mehr spielen. Klingt nach esoterischem Unfug? Dann bist Du der nächste, der das unbedingt ausprobieren sollte!

D’Addario Saxophonblätter Select Jazz

Einen bekannten, ja sogar legendären Markennahmen im Verlauf einer Firmenübernahme einfach in den des Aufkäufers umzuwandeln, ist ein gewagtes Unterfangen. Wenn es sich wie in diesem Fall auch noch um einen äußerst namhaften Hersteller von Gitarrensaiten handelt, der eine Firma aufkauft, die seit Jahrzehnten für Saxophonblätter bekannt und eigentlich schon eine Legende ist, dann stellt sich die Frage: Weshalb bleibt man hier nicht einfach bei „Rico“? Zumindest scheint man diese Frage auch bei D’Addario noch nicht final geklärt zu haben, findet sich auf anderen Produkthüllen wie etwa den bekannten Rico Royal-Blättern immer noch der Name der Ursprungsmarke.

Marketing ist eigentlich kein Thema für einen solchen Test, doch es beschreibt ein wenig meine Gefühle, als ich die Packungen öffnete und an viele Jahre als Rico-Spieler zurückdenken musste. Nein, ich hebe jetzt nicht zum gern intonierten „Früher war alles besser-Chor“ an, sondern mache es kurz: Irgendwann nach der Jahrtausendwende wurden die Rico Jazz Select-Blätter einfach immer schlechter. Zunächst waren es nur zwei anstelle eines Blattes, das man nicht einfach aus der Packung nehmen und aufs Mundstück schnallen konnte. Ich war zu dieser Zeit eine Art „Zweit-Endorser“, stand also nicht in der ersten Reihe der unterstützten Musiker, sondern nahm die Blätter im Rahmen meiner Arbeit für Boosey & Hawkes beziehungsweise The Music Group – die damals Rico-Blätter im Vertrieb hatten – mit zu meinen Workshops und verteilte sie an neugierige Testpersonen. Dafür bekam ich die Blätter gratis. Was allerdings wenig bringt, wenn die Blätter nicht taugen.

So wurden aus zwei Blättern schnell vier Rohrkrepierer (welch’ hübsches Wort in diesem Zusammenhang) und ich holte mir einfach keine mehr in Nauheim ab, weil mir das Einspielen und Nachbearbeiten zu lange dauerte – und andere Hersteller auch sehr gute Blätter machen. Damals sogar bessere. Nun öffne ich also die Packung, lese D’Addario Select Jazz Unfiled und denke mit meiner schwarzen Seele, dass mir hier vielleicht jemand alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen möchte. Dann lege ich das erste Blatt auf, spiele ein paar Minuten – und bin begeistert.

Zunächst schnell noch ein paar kurze Fakten: Getestet wurde mit einem Brancher E31 Metallmundstück, einem Brancher L29 Kautschukmundstück und schließlich – weil’s Spaß macht – auch mal mit einem Selmer S80 E. Die getestete Blattstärke war 3S: Auch D’Addario stellt diese Blätter in Drittelstärken her, also 3S, 3M und 3 H. 3M war durchaus noch machbar, aber 3S passt bei mir heute noch so gut wie damals. Gespielt habe ich auf einem Brancher Tenorsaxophon Sand-Lacquer, einem Brancher AG85, einem Selmer Reference 36 und einem Selmer Reference 54.

Woran merkt man, dass man alt wird? Die Verwendung des Wortes „Früher“ nimmt zu. Also: Früher war mein Sound eng mit der Firma Rico verbunden – nun hörte ich mich auf einmal wieder so, wie ich mich eigentlich seit vielen, vielen Jahren mal wieder hören wollte: Fetter, knackiger Sound, reiche, tiefe Mitten, sonore Mitten und vor allem präsente Höhen, die nie aufdringlich oder fies, sondern immer geschmeidig und transparent bleiben. Die Ansprache ist sehr direkt, die Intonation ausgezeichnet und die Flageoletts laufen wie geschmiert bis in höchste Höhen. Das nächste Blatt: Gleicher Effekt. Dann kommt ein absoluter Totalausfall mit muffig-dumpfem Sound, einfach zum Wegschmeißen miserabel. Doch anschließend sind zwei weitere Blätter bereit, direkt in mein Case zu wandern.

Dann geht es an die Blätter mit dem Zusatz Filed, was bei Rico für eine geschnittene Stufe vor dem Ausstich steht. Das kennt man meist von Blättern für die klassische Anwendung und früher waren die Filed-Blätter entsprechend dunkler, muffiger, gedeckter im Klang. Und heute? Klingen diese Blätter sogar noch kerniger, irgendwie präsenter und wie gemacht für jene Verbindung von Blues, Funk und Soul, die mir auf dem Tenor am liebsten ist. Wie verhält es sich mit der Haltbarkeit? Wie ist die Holzqualität? Ich belaste mehrere Blätter beider Schnitte durch wüstes, lautes Spielen in allen Lagen, bis die Blätter ordentlich durchnässt sind und lasse sie dann gnadenlos-lieblos auf einem Holztisch in der Sommersonne trocknen. Das Ergebnis: Sämtliche Blätter sind komplett glatt, die Blattspitze zeigt überhaupt keine Wellen.

Betrachtet man die Blätter genau, so ist zu sehen, dass der Ausstich bei den Unfiled-Blättern außergewöhnlich lang ist, während die Filed-Variante mit etwas weniger auskommt. Es ist also keinesfalls nur die Stufe, die hier den klanglichen Unterschied macht. Außerdem wirbt D’Addario bei beiden Schnitten mit der enormen Dicke des Grundmaterials, die für den besonders fetten Sound zumindest mitverantwortlich sein soll.

Das gilt auch für die Altsaxophon-Blätter, die ich mit einem Brancher B27 Metall-Mundstück, einem Vandoren A35 Kautschuk-Mundstück aus der V5-Serie und einem Brancher J25 Metall-Mundstück getestet habe. Mit dem B27 geht es noch mehr in Richtung David Sanborn, also aggressive Höhen und fette Mitten, mit dem J25 klingt mein Instrument dann eher nach Eric Marienthal oder je nach Spielweise auch wie Grover Washington Jr. Mit dem Vandoren-Mundstück, das ja gerade so zwischen Klassik und Jazz arbeitet, bieten sich je nach Spielweise diverse Möglichkeiten irgendwo im Bereich zwischen Paul Desmond und Cannonball Adderley – flexibel sind die Blätter also auch. Den Test, die Blätter einfach lose in der Sonne trocknen zu lassen, haben auch diese mit Bravour bestanden. Der Ausschuss beträgt bei den Altsaxophonblättern ebenfalls 20% – in einer Packung mit 10 Blättern finden sich zwei, die überhaupt nicht zum Rest passen und grußlos in die Rubrik „Teurer Grillanzünder“ wandern.

Haptisch hat sich nicht viel geändert, die Blätter bekommen hier eine gute Note 2, sind angenehm glatt, es würde allerdings noch einen Hauch glatter gehen – hier hat AW einfach die Nase vorn. Ansonsten hat mich D’Addario tatsächlich gerockt, denn für Blues, Jazz, Funk oder Soul (und natürlich auch für Schlager oder Folk) bekommt der Saxophonist nun wieder eine Alternative zur Hand, die den Zusatz „Select“ definitiv verdient. Bleibt zu hoffen dass es bei dieser ausgezeichneten Qualität bleibt!

Ligatur Vandoren Klassik

Es war einmal vor langer Zeit, als das Wünschen nicht immer geholfen hat, da mussten Klarinettisten und natürlich auch Saxophonisten ihre Blätter noch mittels einer festen Schnur am Mundstück befestigen. Das dauerte lang, erforderte einige Geschicklichkeit und nervte insbesondere in Stresssituationen, wenn das Blatt etwa aufgrund eines Risses während der Aufführung gewechselt werden musste.

Dann traten Erfinder auf den Plan und reichten den Saxophonisten einfache, aber wirksame Ligaturen, die zwar nicht sonderlich sensibel, dafür aber einfach zu handhaben waren. Den Klarinettisten war das zunächst zu simpel, während Saxophonisten Neuerungen gegenüber auch heute noch aufgeschlossener sind und diese Ligaturen sogleich freudig einsetzten. Wieder vergingen viele Jahre, bis irgendwann jemand auf die Idee kam, die oftmals ungelenk anmutende Verbindung von Blatt und Mundstück akustisch und mechanisch zu hinterfragen. Die seit den 60er Jahren konstant steigende Zahl der Saxophonisten machte eine Fertigung im größeren Stil attraktiv und so entstand Schritt für Schritt eine ganze Reihe unterschiedlicher Konzepte, von denen jedes Einzelne unterschiedlichen Einfluss auf die Schwingung des Blattes und damit auf den Klang ausübte.

Von der Bandligatur aus Leder über komplexe Systeme aus Metall, von denen die Optimum-Ligatur der Firma Vandoren mit ihren drei unterschiedlichen Kontaktflächen und der trickreichen Art und Weise der Befestigung des Blattes sicherlich die längste Entwicklungsarbeit erforderte, bis zu spartanischen Ideen wie der Blattschraube von Pascal Brancher, der einfach nur darauf baut, den Kontakt von Ligatur und Mundstück auf ein Minimum zu reduzieren, reicht seitdem das breite Angebot, aus dem Saxophonisten wählen können.

Und auf einmal dreht Vandoren das Rad der Geschichte zurück. Aber nur ein wenig. Mit der Stoffligatur Klassik (was den Kreis der Anwender nur scheinbar verengt) haben die findigen Franzosen nämlich bereits vor ein paar Jahren eine Blattschraube auf den Markt gebracht, die nicht ganz zufällig optisch an die Zeit der Anfänge des Saxophons erinnert. Allerdings entfällt nun lästiges Gefuddel mit der Schnur– stattdessen hat man aus dieser eine Art konisch zulaufender Hülle gewoben, die man über Mundstück und Blatt stülpen und anschließend mittels zweier Schnüre ein wenig festziehen kann. Das war in meinem Fall der Punkt, an dem ich mich an die Argumente zahlreicher Ligatur-Päpste erinnerte, die auf maximale Schwingungen durch minimalen Kontakt zum Mundstück schwören, während dieser „Strumpf“ alles andere als einen geringen Kontakt suggeriert. Mein Kollege bei Vierfarben Saxophon berichtete hingegen von seiner Erfahrung als Juror beim Saxophonfestival in Krakau, dass just alle Finalisten und Gewinner mit exakt dieser Ligatur angetreten wären und damit hinreißend klingen würden. Zufall?

Sagen wir es mal anders: Wer in die Grenzbereiche des musikalisch Machbaren vordringt, ist um jede Erleichterung froh, die das Material verschaffen kann. Die Ligatur sitzt an einer entscheidenden Schnittstelle zwischen Musiker und Instrument und prägt nicht nur Ansprache und Frequenzband, sondern auch den Grundklang – da probiere ich das Ding doch einfach mal aus. Geliefert wird die Ligatur auf einem kleinen Stück Holz mit einer eher rustikal anmutenden Lederkappe, die den Vintage-Charakter wohl unterstreichen soll und tadellos passt. Vandoren verspricht die leichte Montage, was ich nur eingeschränkt bestätigen kann. Man muss das gute Stück sehr genau über das Mundstück (in meinem Fall das Vandoren AL 3) stülpen, mit den Fingerspitzen in Richtung Bogen und dann mit den Schnürchen nach Art eines Korsetts nachziehen. Das sorgt dennoch nicht für festen Halt, denn schon beim ersten Nachstimmen verrutscht die Ligatur und mahnt den Saxophonisten zum Nachfetten des Korks. Hier wird das Blatt wirklich nur minimal an den Tisch des Mundstücks gedrückt.

Was mechanisch eher anstrengend ist, wirkt sich für Freunde des warmen und obertonreichen Klangs akustisch allerdings vorteilhaft aus. Die Ansprache ist ausgezeichnet, bei perfekter Justierung des Blattes sogar noch etwas besser als bei der Optimum-Ligatur und der Klang unfassbar weich, rund, voll und dennoch nie dumpf oder muffig – für Klassik-Spieler also definitiv ein Angebot, das man nicht ausschlagen sollte. Multiphonics sprechen besser an, Top-Tones ebenfalls und ich bin verblüfft, wie groß der klangliche Unterschied ausfällt! Allerdings sollte man nicht von „besser“ oder „schlechter“ sprechen. „Anders“ trifft es sehr genau, denn als Solist im Orchester würde ich aufgrund des helleren Klangs durchaus die Optimum-Ligatur vorziehen und bei den Brancher-Mundstücken passt die Ligatur des Erbauers einfach perfekt. Die Vandoren Klassik-Ligatur bietet nun allerdings eine weitere Option, nämlich den vermutlich wärmsten Klang, den eine Ligatur überhaupt formen kann. Und das ist einfach toll. Vorausgesetzt, das Mundstück passt zu dieser Klangidee. Der oben genannte Kollege will allerdings auch schon auf seinem Jazz-Mundstück festgestellt haben, dass diese Ligatur hochinteressante Ergebnisse bringt. Und da sein erster Tipp so gut war …

Saxophonblätter Vandoren Serie V21

Wenn ein „Schwergewicht“ der Branche wie Vandoren ein neues Blatt veröffentlicht, kann sich der Hersteller der Aufmerksamkeit der Saxophonisten sicher sein. In diesem Fall wohl ganz besonders, denn zuvor sorgte die Neuentwicklung V21 bereits bei den Klarinettisten für reichlich positives Echo und so war man nun neugierig, wie sich die Blätter auf dem Saxophon machen würden. Generell muss man sich als Saxophonist bei Vandoren ja nicht unbedingt Sorgen machen, zu wenig Auswahl zu haben. Klassische Saxophonisten mussten allerdings lange auf eine interessante Alternative zum Longplayer „Vandoren blau“ (gern auch als „Paris“ bezeichnet, weil einfach nichts anderes auf der tiefblauen Packung zu lesen ist) warten. Das ein paar Jahre zuvor veröffentlichte V12 konnte offensichtlich nicht nachhaltig bei den anspruchsvollen und meist recht konservativen „Klassikern“ punkten und so war die Spannung bereits im Vorfeld groß, wie sich nun die V21-Serie schlagen würde – auch bei mir.

In Sachen Packungsdesign macht den umtriebigen Franzosen so schnell niemand etwas vor und auch diesmal hat man wieder eine wirklich schön anzusehende Verpackung präsentiert.

Dann heißt es wie immer den Kunststofffaden ziehen, Packung auf, Blatt heraus, Folie aufreißen und das Blatt aus der Kunststoffhülle nehmen. Seit der Einführung dieses Konzeptes entsteht so viel überflüssiger Abfall, das geht besser. Das Blatt selbst hat vor dem Abstich keine Stufe, sondern ist nur mit einer feinen Rundung eingeschnitten. Für Rico-Spieler: Das Blatt ist also „unfiled“ und im Vergleich mit anderen durchaus ungewöhnlich anzusehen. Im Mund fühlt sich das Ganze angenehm und überhaupt nicht grob an, doch hier sind und bleiben die beinahe unwirklich fein polierten AW-Blätter unerreicht. Aber auch das ist aber eigentlich völlig unwichtig, denn Blätter sollen primär eines, nämlich gut klingen.

Und das tun sie, diese V21-Blätter! Klanglich etwas feiner und mit weniger Frequenzanteil in den tiefen Mitten als die klassischen Vandoren-Blätter ist die Ansprache in sämtlichen Lagen bis weit ins Altissimo-Register absolut überzeugend, der Rauschpegel im Pianissimo nicht mehr wahrnehmbar, die Obertöne sind spürbar präsenter, ohne dass auch nur der Anschein von aufdringlicher Härte entstehen könnte. Selbst nach 120 Minuten im Dauerbetrieb lässt die Spannung im Blatt nicht nach und 24 Stunden nach dem Trocknen fühlt es sich beinahe wie neu an. Im direkten Vergleich (Stärke 2,5 ist mein persönliches Gardemaß) mit den von mir bisher gespielten Klassik-Blättern sowie mit Brancher Opera 2,5 ist das V21 mit Abstand das eleganteste Produkt, klingt völlig ausgeglichen und wirkt auf mich beinahe unwirklich gut. Keine Spur von Grobheit im Klang, keine rustikalen Frequenzen, die das elegante Klangbild stören. Schockierend für alle Vandoren-Schmäher: 8 von 10 Blättern waren auf Anhieb (!) zu verwenden, nur zwei erschienen mir so muffig, dass ich sie zunächst ins Lager verbannt habe. Getestet wurde sowohl mit Vandoren AL3 als auch mit Selmer C* und Vandoren A35, die Ligatur war in allen drei Fällen eine Vandoren Optimum, wie ich sie seit vielen Jahren verwende.

Nun kommen wir zu einem weiteren verblüffenden Punkt: Dass die Grenzen zwischen sogenannten klassischen Schnitten und solchen für Jazz im Grunde überholt sind, zeigt nicht nur die Tatsache, dass ein so berühmter Saxophonist wie Eric Marienthal auf seine Metallmundstücke eben jene Vandoren Klassik-Blätter schnallt, von denen ich bereits oben gesprochen habe, und damit dennoch einen sehr modernen Saxophonsound erzeugt. Ich habe mit den V21 den Test gemacht, diese auf mein Brancher B27-Altmundstück geschnallt und siehe da: Auch diese Verbindung überzeugt mit einem satten, sehr runden und dennoch brillanten Sound. Ansprache, Intonation und nicht zuletzt auch die Lebensdauer sind nach längerem Test schlicht und ergreifend gut bis sehr gut zu bewerten.

Zu meinem Tenormundstück (Brancher E31) passen die entsprechenden Tenorblätter der V21-Serie jedoch nicht, denn hier wird es mir klanglich doch zu mittenbetont, doch wer auf einen typischen Jazzsound a la Otto Link steht, dürfte mit dieser Serie ein interessantes Produkt bekommen. Auf dem C* – derzeit wohl die Norm in Sachen klassisches Tenorsaxophon – stellt sich hingegen absolute Zufriedenheit ein, denn wiederum sind Ansprache, Grundsound und Nebengeräuschpegel (ein Rauschen ist im Pianissimo kaum wahrnehmbar) einfach verblüffend. Mit zahlreichen unterschiedlichen Markenblättern habe ich auf dem Tenor beim klassischen Spiel immer wieder Probleme in Sachen Klang und vor allem Kontrolle in den unteren Lagen bekommen, doch die sind mit dem V21 tatsächlich … vorbei!

Bleibt die Frage, ob Vandoren nun die „eierlegende Wollmilchsau“ erfunden, also ein Blatt, das in allen musikalischen Welten einfach gut bis hervorragend funktioniert, bis zur Serienreife entwickelt hat. Ich habe nach einem Monat Arbeit mit diesen Blättern den Eindruck, dass den umtriebigen Franzosen hier tatsächlich ein großer Coup gelungen ist. Die Zukunft und zahlreiche gespielte Blätter werden dies allerdings beweisen müssen, denn nicht zuletzt ist es ja die Qualität des verwendeten Holzes, das wesentlichen Einfluss auf den Klang hat. Ich bin da nach einigen Wochen mit V21-Blättern allerdings sehr optimistisch!

AW-Reeds 722 Jazz Tenor und Alt

AW gehört zum Kreis jener kleinen Unternehmen, die sich um die Jahrhundertwende (in diesem Fall tatsächlich im Jahr 2000) nicht mehr damit abfinden wollten, dass zwei große Firmen den Markt an Rohrblättern für Holzblasinstrumente unter sich aufteilen. Zu dieser Zeit entstanden zum Beispiel mit Alexandre, Brancher oder François Louis interessante, aber eben auch sehr individuelle Alternativen zu Rico und Vandoren, die schnell einen Kreis neugieriger Musiker für sich begeistern konnten. Heute verdanken wir dieser Tatsache eine weitaus größere Auswahl – und ausgezeichnete Produkte wie AW-Reeds!

   

Forestone Traditional M Tenor

Ein Kunststoffblatt „Traditional“ zu nennen ist eigentlich eine lustige Idee, meint hier aber ganz offensichtlich das Klangspektrum des Blattes, das sich auch über den Schnitt mit Stufe, also „Filed“ ausdrückt. Getestet wurde mit einem Brancher E31, einem Brancher L29 Kautschuk und einem Selmer S80 E auf einem Selmer Reference 36 Saxophon. Natürlich könnte man das Blatt auch noch mit Otto Link, Berg Larsen und vielem mehr testen, doch diese Rubrik lebt durchaus von ihrer Individualität und da ich bekannter Maßen ein Freund von Brancher-Mundstücken bin, passt das.

Forestone Black Bamboo

Forestone positioniert sich im jungen Markt für Kunststoffblätter als innovatives Unternehmen und Vorreiter bei der Fusion künstlicher und natürlicher Materialien. So bestehen die Blätter zu 50% aus Arundo Donax, also Rohrblatt, die andere Hälfte ist Polypropylen – beide Materialien werden handwerklich beeindruckend miteinander verbunden. Mein erster Test widmet sich dem wohl pikantesten Bereich, nämlich dem klassischen Saxophon. Hier will Forestone mit dem neuen Black Bamboo punkten und das gelingt auch beim Test auf Anhieb.

Ungewohnt ist das haptische Gefühl der Blattunterseite, die komplett glatt ist und dennoch absolut luftdicht mit dem Tisch des Mundstückes abschließt. Die Oberseite des Blattes bietet hingegen echtes „Blatt-Feeling“ und lässt sich gut am Ansatz positionieren. Forestone betont auf seiner Website übrigens, dass man die Blätter problemlos nach eigenem Geschmack nachbearbeiten kann, das Material soll sich auch hierbei zuverlässiger verhalten als Holz.
Zum Sound: Getestet wurde mit einem Selmer C* sowie mit einem Vandoren A35 aus der V5-Serie. Auf dem Selmer-Mundstück ist die Ansprache absolut tadellos, die Intonation ebenfalls und sämtliche Flageolets bis hinauf zum F#4 sind problemlos spielbar. Die Blattstärke M entspricht allerdings eher der Stärke 2 des entsprechenden Vandoren-Klassikblattes, so dass mir das Blatt in dieser Kombination als zu leicht erscheint. Was dem Erstaunen über einen feinen, sehr eleganten Klang keinen Abbruch tut: Das Black Bamboo hat zwar nicht die Wärme und den „Körper“ eines Vandoren „blau“ oder Brancher Opera, glänzt aber mit knackiger Obertonstruktur und singenden Mitten. Ein schönes Blatt für Kammermusik oder Einsätze im Orchester, bei denen es weniger auf Präsenz denn auf Integration in ein Gesamtbild ankommt.
Noch interessanter ist für mich die Verbindung mit dem Vandoren A35, denn hier passt die Blattstärke aufgrund der größeren Bahnöffnung ideal. Der Klang ist größer, etwas körperreicher und das leise Luftgeräusch, oft ein Ärgernis im Pianissimo bei offeneren Bahnen, kaum noch wahrnehmbar. Persönlich fehlt mir das letzte Quentchen Wärme und Abrundung im Klang, doch da man sich an einen neuen Blattschnitt gewöhnen muss, werde ich das Blatt nun regelmäßiger spielen, um an dieser Stelle weitere Erkenntnisse festzuhalten. Bis dahin gilt, dass Forestone mit dem Black Bamboo ein ausgezeichnetes Produkt auf den Markt gebracht hat, das den engen Markt der Klassikblätter in Bewegung bringen dürfte. Ach, und selbstverständlich kann man das Blatt auch für Jazz verwenden. Bald an dieser Stelle: Die Testergebnisse zu Black Bamboo Tenor-, Sopran- und Baritonsaxophon!