In die früher eher langweilige Branche der klassischen Saxophonmundstücke kommt immer mehr Bewegung. Mit der Optimum-Serie brachte Vandoren seinerzeit einen starken Konkurrenten für Selmer auf den Markt (siehe meine Testreihe C*V5Optimum – der Klassik–Code), was wiederum mit dem Selmer Concept gekontert wurde. Dieses wird im Gegensatz zu den Vorgängern nur mit einer einzigen Bahnöffnung angeboten, doch dieses „Friss oder stirb“-Angebot mit seinem offeneren Spielgefühl konnte wiederum viele professionelle Spieler überzeugen, was auch die neugierige Basis zum Systemwechsel motivierte. Nun war also Vandoren wieder am Zug, und siehe da: Mit der Profile-Serie, derzeit das AP3 und sein kleiner Bruder SP3, hat man in der Rue Lepic ein Mundstück entwickelt, das alles mitbringt, um wieder die Führung in diesem wichtigen Segment zu übernehmen.
Zunächst sei die Frage gestattet, worin der Grund für solche Neuentwicklungen zu suchen ist. Eigentlich verbindet man mit dem klassischen Genre ja einen konservativen Geist, zumindest mit Blick auf die Tonbildung. Doch bei genauer Betrachtung wird schnell klar, dass sich insbesondere beim Saxophon viel getan hat: Neue Spieltechniken wie Slapzunge oder gar das Beatboxing auf dem Saxophon, erfunden von Derek Brown, aber auch höhere Ansprüche der Komponisten bezüglich High Notes und Dynamik machen die neuen Mundstücke reizvoll und manchmal sogar notwendig. Wenn von Komponisten die Grenzen der Dynamik neu ausgelotet werden, kann das Material nicht zurückstehen. Die Anforderung, ultraleise und wahnwitzig laute Passagen mit einem einzigen Mundstück und Blatt umzusetzen, bleibt eine echte Herausforderung – wer Material liefern kann, das diesen Prozess spürbar erleichtert, hat schnell die Nase vorn.
Hier liegt sicherlich einer der Gründe, weshalb das Selmer Concept so erfolgreich ist und die Tatsache, dass Vandoren nun ein ganz ähnliches Design gewählt hat und die Profile-Serie ebenfalls nur mit einer Bahnöffnung anbietet, bestätigt das. Allerdings nur äußerlich. Die inneren Qualitäten der Serie sind andere. Bereits der erste Ton vermittelt bezüglich der Zentrierung des Tons ein völlig neues Gefühl von Sicherheit. Die Luft wird beinahe wie auf Schienen geführt, die Kontrolle ist maximal und das in allen Dynamikstufen. Der entstehende Ton – getestet wurde mit Vandoren V21 Stärke 3 auf Selmer SA80II – ist absolut dicht, kompakt, trägt ungemein weit und ist enorm differenziert. Im Vergleich erscheint das AL3 etwas opulenter und breiter, aber eben auch weniger differenziert, während das Selmer Concept dagegen beinahe schon grob klingt. Vandoren spricht bei der Profile-Serie von „hervorragender Klangästhetik durch ein neues Design der Bahn in der dritten Generation“. Wir sind uns einig, dass das Texten zu solchen Neuentwicklungen keine dankbare Aufgabe ist, aber tatsächlich spielt sich dieses Mundstück völlig anders und gleichsam vertraut. Die Ansprache ist unglaublich direkt, im Pianissimo ist so gut wie kein Rauschen mehr hörbar und wenn es um Lautstärke geht, so ist man mit AP und SP ebenfalls ganz weit vorn.
Der mittenreiche Klang geht allerdings ein wenig auf Kosten der Brillanz in den Höhen, was wiederum eine Frage der persönlichen Klangvorstellung ist. Hier könnte man mit anderen Blättern arbeiten, doch generell ist der Klang keinesfalls dumpf, sondern eher absolut linear. Das Sopranmundstück fällt klanglich etwas heller aus, bleibt aber ebenfalls in diesem linearen Korridor. Im Altissimo-Register sind beide Mundstücke das, was man eine Waffe nennt: Wer sich hier sicher fühlt, bekommt mit der Profile-Serie ein unglaublich gutes Werkzeug. Das gilt auch für Multiphonics, die selbst bei schwierigen Klängen deutlich besser „anspringen“ als bei AL3 und Selmer Concept. Für mich ist das Vandoren Profile also eine der interessantesten Neuentwicklungen der letzten Jahre und mein zukünftiges Standard-Mundstück bei Vierfarben Saxophon. Ich bin gespannt, ob und wenn ja wann die Ergänzung in die tiefe Lage erscheinen wird – Tenor- und Baritonsaxophon hätten ein solches Mundstück ebenfalls verdient!